Uber den Künstler
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begannen Goldschmiede, sich zunehmend von vergangenen Epochen inspirieren zu lassen, indem sie antike und mittelalterliche Artefakte verwendeten und gleichzeitig längst vergessene Techniken wiederbelebten. In Frankreich erfreuten sich die Stile Neugotik und Renaissance besonders großer Beliebtheit und verschmolzen zu dem, was als „Style Cathédrale“ bekannt wurde.
Einer der Koryphäen dieser Designbewegung war Jules Wièse (1818-1890). Er reiste 1839 von Berlin nach Paris und begann seine Karriere im renommierten Atelier des Juweliers und Silberschmieds Froment-Meurice. Dieser unternehmungslustige Handwerker stieg rasch auf und übernahm 1844 die Position des Werkstattleiters. Im folgenden Jahr wagte er den mutigen Schritt, eine eigene Werkstatt in der Rue Jean-Pain-Mollet 7 zu eröffnen. Wièse schuf sich bald eine eigene Nische und spezialisierte sich auf die Herstellung von aufwendig ziseliertem Schmuck und Kunstgegenständen aus Silber und Gold.
Seine herausragende Handwerkskunst blieb nicht unbemerkt. Wièse erhielt Auszeichnungen auf der Exposition Industrielle von 1849 und 1855 wurde ihm auf der Exposition Universelle eine erstklassige Medaille verliehen. Ein Kritiker kommentierte seine Arbeit auf der Ausstellung von 1855 wie folgt: „Die Bedeutung seiner Werke und seine gewagten Experimente offenbaren eine Wertschätzung für Kunst und Schönheit, die selbst bei den unscheinbarsten Werken die Anerkennung der Jury verdient.“ Wièses bemerkenswertes Können und seine Originalität erlangten bald internationale Anerkennung, als er auf der Great London Exhibition 1862 mit einer Auszeichnungsmedaille geehrt wurde.
Wièses Werk war eine harmonische Verschmelzung mittelalterlicher Motive und traditioneller handwerklicher Methoden. Er ließ sich von der Artuslegende, Rittermärchen, gotischer Architektur und verschiedenen Kunstformen der Zeit inspirieren. Seine Schmuckstücke waren oft mit einer sorgfältig aufgetragenen Quecksilberoxidbeschichtung versehen, die ihnen ein antikes, geschwärztes Aussehen verlieh. Bei Goldgegenständen wurde manchmal Juwelierrouge verwendet, um ihnen das Aussehen frisch ausgegrabener Schätze zu verleihen.
Im Jahr 1880 ging Jules Wièse in den Ruhestand und übergab die Leitung der Werkstatt an seinen Sohn Louis. Von Vever als „ein außergewöhnlich bescheidener und wirklich talentierter Künstler“ beschrieben, produzierte Louis bis zur Schließung der Firma im Jahr 1923 weiterhin Schmuck im Revivalist-Stil.
Der Schmuck von Wièse, bekannt für seine charmante Exzentrizität und exquisite Handwerkskunst, ist bei Sammlern und Kennern nach wie vor sehr begehrt und gefragt. Beispiele seiner Arbeit finden sich in angesehenen Institutionen wie dem British Museum, dem Victoria & Albert Museum und dem Musée des Arts Décoratifs in Paris.